Die ESP-Klassiker waren seit 1991 durch Lizenzen (ZYX, Calibre, Abraxas) für Liebhaber immer zugänglich, auch wenn manche Perlen nur für Perlenschweine auffindbar waren. Dass aber seit 2005 wieder in Eigenregie neben Wiederveröffentlichungen auch Neues erscheint, das hätte ich beinahe verpasst. Neben New Ghost, Lindha Kallerdahl und Yuganaut sticht mir unvermutet der Name HANS TAMMEN ins Auge, wie sich herausstellt als Spitze eines Vulkans. Expedition (ESP 4031), 2001 in der Knitting Factory aufgenommen und 2006 veröffentlicht, entstand im Verbund mit CHRIS DAHLGREN an Bass & Electronics, dem Trio-X-Drummer JAY ROSEN und - ALFRED 23 HARTH an Tenorsax & Bassklarinette. Zwischen seiner großartigen Einspielung mit dem Trio Viriditas und seinen ostasiatischen Eskapaden wie eShip sum (2003) und mit Otomo Yoshihide's New Jazz Orchestra findet man ihn hier auf rigorosem Kurs durch feurigste Fire Music. Rosens fiebriges Klackern wird beständig verstärkt und verdichtet durch Noise, dessen Herkunft oft unklar bleibt. Dahlgrens knurrige Bogenstriche oder elektronische Ausläufer? Tammen mit seinem schrappeligen Drahtbürstensound? Mit seinen in sich oder rückwärts verdrehten Kürzeln spielt er auf der Beerdigung der Gitarre, wie man sie kennt. Und Harth erst! Anfänglich als jung-wilder ESPler wie Pharoah Sanders, Sonny Simmons und Frank Wright, dann kurz sogar mit Aylereskem Pathos oder als Arkestra-Maat heliozentrisch unterwegs, öffnet er bei ‚Retained Notions...‘ seine eigenen Burn-Baby-Burn-Speicher, wechselt für ‚A Brief Pleasure Trip‘ zur Bassklarinette und rauscht dahin wie Kohoutek. ‚From One Place To Another‘ ist pure außerirdische Poesie aus Elektrofunken, Pizzikato und wunderbar erratischen Bassklarinettensprüngen, die sich plötzlich ballt und mit vereinten Kräften gegen den Hintereingang zum Paradies rummst. ‚A Place That Has Emotional Significance‘ entwickelt seine Gefühltsprotuberanzen durch ein so nicht erwartetes irrwitziges GITARREN-Solo. Damit nicht genug, folgt noch eine wie auf einer Nilbarke dahin geruderte, von Theremin umwölkte, exotisch umzwitscherte A23H-Träumerei in den oberen Klarinettenregistern. Und man ist mittendrin im Herzen von ESP.
[ba 59 rbd]
Vier Fäuste Für Hanns Eisler/Vom Sprengen des Gartens - Duo Goebbels/Harth (Recommended Records, 2CD)
Längst ist HEINER GOEBBELS bei seinem langen Marsch von der Frankfurter Spontiszene durch die Institutionen angekommen bei der Goetheplakette der Stadt Frankfurt, dem Hessischen Kulturpreis und der Präsidentschaft der Hessischen Theaterakademie, mehr als verdient.
Die Fotos auf Hommage/Vier Fäuste für Hanns Eisler + Vom Sprengen des Gartens (ReR GH1, 2 x CD) zeigen ihn als wuschelköpfigen Twen, der mit Piano und Akkordeon Bach, Rameau und Schumann mit Nino Rota und vor allem mit Eislermaterial kurz schloss.
An seiner Seite der Saxophon- & Klarinettist ALFRED HARTH, mit Jahrgang 1949 der um drei Jahre ältere Kompagnon einer Produktionsdyade, die von 1974-88 Bestand hatte. Bevor die beiden sich auch im Sogenannten Linksradikalen Blasorchester
zusammentaten, hatte Harth schon mit "just music" und "E.M.T."
(Energy/Movement/Totale) internationale Freejazzerfahrungen gesammelt.
Die Eisler-Hommage entstand im Oktober 1976, die Scheibe mit den
Gorlebendemonstranten auf dem Cover 1978/79, beide erschienen sie in
der SAJ-Reihe von FMP, in der Jost Gebers auch schon Canadian Cup of
Coffee von E.M.T. herausgebracht hatte. Das Rezept dabei war irre,
Eisler reimte sich plötzlich auf Albert Ayler. G & H spielten Trinità
und Bambino, dass es im Westend nur so staubte. Nicht Kraut war
Inspirationsquelle, sondern Brecht. Wenn es keine deutsche
Populär-Kunsttradition mehr gab, musste man sie eben neu erfinden. ‚Zur
Überwindung von Schwierigkeiten‘, gegen Städtetod, Atommüll, bleierne
Zeit deklarierten die beiden schlicht: ‚So, das ist, was wir brauchen‘.
‚Vorwärts!‘, der ‚Sieg im Volkslied!‘ ist zum Be-Greifen nah. In Harth
fand Goebbels das ideale Megaphon, er konnte wie kein zweiter
hierzulande wilde Töne spucken, die ganz den Geist der ‚October
Revolution in Jazz‘ atmeten, zur Kirchenorgel einen Bach-Choral
anstimmen und mit dem nächsten Atemzug die zartesten Melodiechen
summen. Selten klangen Ratschläge lustvoller, ‚Rock gegen Rechts‘
intelligenter, Notwendigkeit bewegender.
1981 folgten "Es herrscht Uhu im Land" (Japo), Bertold Brecht: "Zeit wird
knapp" (Tonstudio Zuckerfabrik) un"d auf Riskant "Indianer für Morgn", 1982 das Cassiber-Debut "Man or Monkey. Bis hin zu "Live à Victoriaville"
(Victo, 1987). Da waren Eislers ‚Der zerrissene Rock‘ und ‚Die haltbare
Graugans‘ und ‚Le Rappel des Oiseaux‘ dann schon immer wieder gern
gehörte G & H-‘Standards‘. Die Leistung bestand darin, nicht einfach
Klassik für die Werktätigen zu verjazzen. Man fand vielmehr einen
gemeinsamen Nenner zwischen den europäischen und amerikanischen Stoffen und Formen, zwischen gehobenen und gefallenen Kulturgütern darin, sie als urbane Gassenhauer zu präsentieren und als Medium menschlicher Bedürfnisse, ohne populistische Verarschung.
„Und übersieh mir nicht
Zwischen den Blumen das Unkraut, das auch Durst hat“, hatte Brecht
empfohlen (‚Vom Sprengen des Gartens‘). Vogelfreie ‚Krähenmusik‘ ließ
dem Unkraut Flügel wachsen. Dazu brauchte es keine Worte. Die
‚Botschaft‘, der Widerstand gegen Nazitum in jeder Gestalt, sprudelte
aus Melodie & Rhythmus, mit der Eloquenz eines Heinrich Heine, an den
Goebbels bei seinem ‚Bis bald, Calypso‘ gedacht hatte. Der einst so
brechtianisch bestellte Garten ist zur Müllkippe verkommen, als
Parkplatz geplättet. Aber Unkraut vergeht nicht.
[ba 56 rbd]
Die Fotos auf Hommage/Vier Fäuste für Hanns Eisler + Vom Sprengen des Gartens (ReR GH1, 2 x CD) zeigen ihn als wuschelköpfigen Twen, der mit Piano und Akkordeon Bach, Rameau und Schumann mit Nino Rota und vor allem mit Eislermaterial kurz schloss.
An seiner Seite der Saxophon- & Klarinettist ALFRED HARTH, mit Jahrgang 1949 der um drei Jahre ältere Kompagnon einer Produktionsdyade, die von 1974-88 Bestand hatte. Bevor die beiden sich auch im Sogenannten Linksradikalen Blasorchester
zusammentaten, hatte Harth schon mit "just music" und "E.M.T."
(Energy/Movement/Totale) internationale Freejazzerfahrungen gesammelt.
Die Eisler-Hommage entstand im Oktober 1976, die Scheibe mit den
Gorlebendemonstranten auf dem Cover 1978/79, beide erschienen sie in
der SAJ-Reihe von FMP, in der Jost Gebers auch schon Canadian Cup of
Coffee von E.M.T. herausgebracht hatte. Das Rezept dabei war irre,
Eisler reimte sich plötzlich auf Albert Ayler. G & H spielten Trinità
und Bambino, dass es im Westend nur so staubte. Nicht Kraut war
Inspirationsquelle, sondern Brecht. Wenn es keine deutsche
Populär-Kunsttradition mehr gab, musste man sie eben neu erfinden. ‚Zur
Überwindung von Schwierigkeiten‘, gegen Städtetod, Atommüll, bleierne
Zeit deklarierten die beiden schlicht: ‚So, das ist, was wir brauchen‘.
‚Vorwärts!‘, der ‚Sieg im Volkslied!‘ ist zum Be-Greifen nah. In Harth
fand Goebbels das ideale Megaphon, er konnte wie kein zweiter
hierzulande wilde Töne spucken, die ganz den Geist der ‚October
Revolution in Jazz‘ atmeten, zur Kirchenorgel einen Bach-Choral
anstimmen und mit dem nächsten Atemzug die zartesten Melodiechen
summen. Selten klangen Ratschläge lustvoller, ‚Rock gegen Rechts‘
intelligenter, Notwendigkeit bewegender.
1981 folgten "Es herrscht Uhu im Land" (Japo), Bertold Brecht: "Zeit wird
knapp" (Tonstudio Zuckerfabrik) un"d auf Riskant "Indianer für Morgn", 1982 das Cassiber-Debut "Man or Monkey. Bis hin zu "Live à Victoriaville"
(Victo, 1987). Da waren Eislers ‚Der zerrissene Rock‘ und ‚Die haltbare
Graugans‘ und ‚Le Rappel des Oiseaux‘ dann schon immer wieder gern
gehörte G & H-‘Standards‘. Die Leistung bestand darin, nicht einfach
Klassik für die Werktätigen zu verjazzen. Man fand vielmehr einen
gemeinsamen Nenner zwischen den europäischen und amerikanischen Stoffen und Formen, zwischen gehobenen und gefallenen Kulturgütern darin, sie als urbane Gassenhauer zu präsentieren und als Medium menschlicher Bedürfnisse, ohne populistische Verarschung.
„Und übersieh mir nicht
Zwischen den Blumen das Unkraut, das auch Durst hat“, hatte Brecht
empfohlen (‚Vom Sprengen des Gartens‘). Vogelfreie ‚Krähenmusik‘ ließ
dem Unkraut Flügel wachsen. Dazu brauchte es keine Worte. Die
‚Botschaft‘, der Widerstand gegen Nazitum in jeder Gestalt, sprudelte
aus Melodie & Rhythmus, mit der Eloquenz eines Heinrich Heine, an den
Goebbels bei seinem ‚Bis bald, Calypso‘ gedacht hatte. Der einst so
brechtianisch bestellte Garten ist zur Müllkippe verkommen, als
Parkplatz geplättet. Aber Unkraut vergeht nicht.
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Live Vol.1 Series Circuit & Vol.2 Parallel Circuit - ONJO (Doubt Music,dmf-115/116 & dmf-117/118, je 2 x CD)
zeigt ONJO, Otomo Yoshihide‘s New Jazz Orchestra, in Berlin, Tokyo, Kyoto und Nagoya, schwankend zwischen 10- und 35-köpfiger, weitestgehend fernöstlicher Besetzung, inklusive dem Neosüdkoreaner Alfred Harth. Neben Eric Dolphy, von dem ‚Out To
Lunch‘, ‚Straight Up And Down‘ und ‚Hat And Beard‘ (Vol.1) sowie
‚Something Sweet, Something Tender‘ in einer ganz schwebenden und
‚Gazzelloni‘ in einer enorm fetzigen Version erklingen (Vol.2), ist
Yamashita Takeo (1930-2005), ein Komponist von populärer TV-Musik, von
der jedes japanische Kind in den 60ern und frühen 70ern geprägt wurde,
einer der ästhetischen Brennpunkte dieser Konzertreihe, die Yoshihides
musikalischen Werdegang ausfaltet. Yoshihide hatte Yamashita schon mit
Plays the Music of (1999) Tribut gezollt und damit seine
ONJQ-ONJE-ONJO-Lawine ins Rollen gebracht. Dolphys Jazz, dem er in
Jazz-Kaffeehäusern gelauscht und dafür Schule und Studium geschwänzt
hatte, und die unbewusster eingelagerten TV-Soundtracks waren für
Yoshihide nicht nur prägend, sie öffneten ihm auch Auswege aus dem
Zwiespalt zwischen dem New-Directions-Gitarristen Takayanagi Masayuki
als lähmendem Übervater und dem Gefühl, ihn ‚verraten‘ zu haben, erst
durch Ground-Zero, dann, nun auch Ground-Zeros überdrüssig, durch
onkyo. Yamashita öffnet einen Zugang für poppiges oder ätherisches Easy
Listening (‚Playgirl BGM‘‚ ‚Super Jetter‘), für kayokyoku, japanische
Schlagermusik (‚Lost In The Rain‘) und trashige Action (‚Lupin The
Third/Afro Lupin ‘68‘). Kahimi Karies Stimme ist eine Hauptzutat in
Yoshihides Metafusion seiner musikalischen Erfahrungen und Vorlieben,
Elektronik eine zweite, vertreten durch Sachiko M (sinewaves) und Unami
Taku (computer), furiose Bläser die dritte (Alfred Harth, Tsugami
Kenta, Okura Masahiko) und akustische Finessen eine vierte (Vibraphon,
Sho), wobei in Tokyo für die sublimen ‚Command‘-Performances ein ganzes
Bündel von Strings das Orchestra verstärkte. Mit dem Abgleich der
beiden prachtvollen Versionen des Medleys ‚Mayonaka no Shizukana Kuroi
no Ue ni / Ukabiagaru Shiroi Yuri no Hana‘ könnte man Wochen zubringen.
Wollte man ONJO überblenden mit der Territory Band, dem Brötzmann
Chicago Tentet oder den Bigbands von Satoko Fujii, dann sind die Vocals
ein Surplus, die statt durch japanischen Exotismus mit französischem
Charme becircen. Mehr noch aber macht der Anklang von Legrand und
Mancini, das Ausschweifen in Sweetness, der schwelgerische Duktus von
Jim O‘Rourkes selig machendem ‚Eureka‘ als gehauchtem Chanson und
Yoshihides eigenem ‚Climbers High Opening‘, seinen Synkretismus so
attraktiv, so einnehmend. Wie Posaune und Sho die Berliner Version von
Yamashitas ‚Namida kara Ashita e‘ einleiten und dazu Morricone-Singsang
ertönt, den erst Kentas Alto, dann Harths Tenorsax bluesig
weiterspinnen zu Spacewhispers aus drei Frauenkehlen, das ist freiweg
herzensbrecherisch. Mit elastischen Bändern hält Yoshihides
Arrangierkunst eine Balance zwischen stimmungsmalerischer Impression
und expressiven, maximalistischen Momenten, der kompositorischen
Thematik und der Erfindungskraft seiner Mitmusiker, die Jazz als
Universalsprache der Gefühle wie ihre Muttersprache sprechen.
Yoshihides Agenda richtet sich, ähnlich wie bei Ken Vandermark, darauf,
mit seiner Musik nicht hehren Zielen zu dienen, und seien es so
ehrenwerte wie der Protest gegen Unterdrückung und Krieg, sondern
Wurzeln im Alltag zu schlagen, nah zu sein an den Dingen des Lebens,
Essen, Trinken, Feierabend. Wo er politisch steht, zeigt Yoshihide mit
der Spoken-Word-Version von Victor Jaras ‚Te recuerdo Amanda‘ und
Charlie Hadens ‚Song for Ché‘; wie man Energie bündelt mit dem mit
7-fachen Electronics forcierten donnergöttlichen ‚ANODEONJO‘ (Vol.2).
Mit dem Ayleresken ‚Climbers High Ending‘ endet ONJO als ausgelassene
Funeral Band, die sich und allen in Hörweite die Hochgenüsse von
Schlaraffenland gönnt - HIER und JETZT.
[ba 56 rbd]
Lunch‘, ‚Straight Up And Down‘ und ‚Hat And Beard‘ (Vol.1) sowie
‚Something Sweet, Something Tender‘ in einer ganz schwebenden und
‚Gazzelloni‘ in einer enorm fetzigen Version erklingen (Vol.2), ist
Yamashita Takeo (1930-2005), ein Komponist von populärer TV-Musik, von
der jedes japanische Kind in den 60ern und frühen 70ern geprägt wurde,
einer der ästhetischen Brennpunkte dieser Konzertreihe, die Yoshihides
musikalischen Werdegang ausfaltet. Yoshihide hatte Yamashita schon mit
Plays the Music of (1999) Tribut gezollt und damit seine
ONJQ-ONJE-ONJO-Lawine ins Rollen gebracht. Dolphys Jazz, dem er in
Jazz-Kaffeehäusern gelauscht und dafür Schule und Studium geschwänzt
hatte, und die unbewusster eingelagerten TV-Soundtracks waren für
Yoshihide nicht nur prägend, sie öffneten ihm auch Auswege aus dem
Zwiespalt zwischen dem New-Directions-Gitarristen Takayanagi Masayuki
als lähmendem Übervater und dem Gefühl, ihn ‚verraten‘ zu haben, erst
durch Ground-Zero, dann, nun auch Ground-Zeros überdrüssig, durch
onkyo. Yamashita öffnet einen Zugang für poppiges oder ätherisches Easy
Listening (‚Playgirl BGM‘‚ ‚Super Jetter‘), für kayokyoku, japanische
Schlagermusik (‚Lost In The Rain‘) und trashige Action (‚Lupin The
Third/Afro Lupin ‘68‘). Kahimi Karies Stimme ist eine Hauptzutat in
Yoshihides Metafusion seiner musikalischen Erfahrungen und Vorlieben,
Elektronik eine zweite, vertreten durch Sachiko M (sinewaves) und Unami
Taku (computer), furiose Bläser die dritte (Alfred Harth, Tsugami
Kenta, Okura Masahiko) und akustische Finessen eine vierte (Vibraphon,
Sho), wobei in Tokyo für die sublimen ‚Command‘-Performances ein ganzes
Bündel von Strings das Orchestra verstärkte. Mit dem Abgleich der
beiden prachtvollen Versionen des Medleys ‚Mayonaka no Shizukana Kuroi
no Ue ni / Ukabiagaru Shiroi Yuri no Hana‘ könnte man Wochen zubringen.
Wollte man ONJO überblenden mit der Territory Band, dem Brötzmann
Chicago Tentet oder den Bigbands von Satoko Fujii, dann sind die Vocals
ein Surplus, die statt durch japanischen Exotismus mit französischem
Charme becircen. Mehr noch aber macht der Anklang von Legrand und
Mancini, das Ausschweifen in Sweetness, der schwelgerische Duktus von
Jim O‘Rourkes selig machendem ‚Eureka‘ als gehauchtem Chanson und
Yoshihides eigenem ‚Climbers High Opening‘, seinen Synkretismus so
attraktiv, so einnehmend. Wie Posaune und Sho die Berliner Version von
Yamashitas ‚Namida kara Ashita e‘ einleiten und dazu Morricone-Singsang
ertönt, den erst Kentas Alto, dann Harths Tenorsax bluesig
weiterspinnen zu Spacewhispers aus drei Frauenkehlen, das ist freiweg
herzensbrecherisch. Mit elastischen Bändern hält Yoshihides
Arrangierkunst eine Balance zwischen stimmungsmalerischer Impression
und expressiven, maximalistischen Momenten, der kompositorischen
Thematik und der Erfindungskraft seiner Mitmusiker, die Jazz als
Universalsprache der Gefühle wie ihre Muttersprache sprechen.
Yoshihides Agenda richtet sich, ähnlich wie bei Ken Vandermark, darauf,
mit seiner Musik nicht hehren Zielen zu dienen, und seien es so
ehrenwerte wie der Protest gegen Unterdrückung und Krieg, sondern
Wurzeln im Alltag zu schlagen, nah zu sein an den Dingen des Lebens,
Essen, Trinken, Feierabend. Wo er politisch steht, zeigt Yoshihide mit
der Spoken-Word-Version von Victor Jaras ‚Te recuerdo Amanda‘ und
Charlie Hadens ‚Song for Ché‘; wie man Energie bündelt mit dem mit
7-fachen Electronics forcierten donnergöttlichen ‚ANODEONJO‘ (Vol.2).
Mit dem Ayleresken ‚Climbers High Ending‘ endet ONJO als ausgelassene
Funeral Band, die sich und allen in Hörweite die Hochgenüsse von
Schlaraffenland gönnt - HIER und JETZT.
[ba 56 rbd]
Out To Lunch - OTOMO YOSHIHIDE‘S NEW JAZZ ORCHESTRA (Doubt Music,dmf 108)
Der Bezug ist klar, Eric Dolphys Blue-Note-Klassiker, 1964
verewigt mit Freddie Hubbard, Bobby Hutcherson, Richard Davis und Tony
Williams. ONJO spielte 41 Jahre später eine komplette Neufassung ein,
zu der Otomo angeregt wurde durch Erinnerungen an die Jazzaficionados
Tonoyama Taiji & Shimizu Toshihiko und an seine eigenen frühen Jahre
als Jazzkellerassel Ende der 70er/Anfang der 80er. Für die Neufassung
stand ihm statt seinem Quintett mit Mizutani Hiroaki am Bass und
Yoshigaki Yasuhiro an den Drums ein ganzes internationales Ensemble zur
Verfügung mit Axel Dörner (tp), Alfred Harth (bass-clarinet, tenor
sax), Mats Gustafsson (baritone sax), Cor Fuhler (piano) und Takara
Kumiko (vibraphone), weiteren Saxophons, Posaune, Sho und Electronics.
Der Auftakter ‚Hat And Beard‘ mit seinem markanten Head - die Revision
folgt übrigens der Reihenfolge des Originals - stand schon auf dem
Repertoire des ONJQ und schickt Dörner auf die Spuren von Hubbard und
Alfred Harth zeigt hier schon kurz und ausgiebig dann beim
nachfolgenden ‚Something Sweet, Something Tender‘, was für eine
atemberaubende Bassklarinette von freiweg Dolphy‘eskem Zuschnitt er
bläst. Gustafssons Bariton spotzt seine unverwechselbaren Töne und der
Noise, der aus allen Winkeln dieses elektroakustischen Orchesters
glitzert und stichelt, macht den Zeitsprung deutlich, der an Jazz
keineswegs so spurlos vorüber ging wie einem manche weiß machen
möchten. ‚Gazzelloni‘ ist der Fetzer des Sets, komprimierter Jazzcore
mit Powerdrums, Otomos Last-Exit-Gitarre, heiß laufenden Electronics
und Over-the-Top-Gebläse, ein Heidenspaß mit Dr. Umezu-Schmauchspur!
Beim Titelstück kehrt sich, während die Oberfläche noch zivilisiert
swingt, mehr und mehr das Innerste nach außen, Bass und Vibraphon
walken stoisch der Nase nach, und der Rest der Truppe probt die
kakophone Himmelfahrt mit dem Diabolus in musica als Leader of the
Pack. Was uns zu ‚Straight Up And Down‘ bringt, von Otomo mit ‚Will Be
Back‘ auf gut 27 Min. gestreckt. Aus dem prächtigen Hornarrangement
entfaltet sich eine Demonstration dessen, was ‚Jazz‘ nach dem Tod von
Jazz anstellen kann, wenn er sich nicht postmodern und epigonal
schniegelt, sondern verbündet mit Dröhnelektronik, unkastrierter Musica
Nova und neo- und metafreier Energie, die Stille konsequent mit
einschließt. Das ist dann schon auch ein Härtetest für Gemüter, die
gern Erfahrung mit Spektakel verwechseln. Ob Dolphy selbst mit einer
derartigen ‚Outness‘ klar gekommen wäre oder sich lieber mit einem ‚Out
to Lunch‘ verdrückt hätte? Manche versuchen auf Riesen zu reiten,
andere kriechen ihnen zu Füßen. Otomo dagegen würde Meister Kaios
Wohlgefallen finden.
[ba 50 rbd]
verewigt mit Freddie Hubbard, Bobby Hutcherson, Richard Davis und Tony
Williams. ONJO spielte 41 Jahre später eine komplette Neufassung ein,
zu der Otomo angeregt wurde durch Erinnerungen an die Jazzaficionados
Tonoyama Taiji & Shimizu Toshihiko und an seine eigenen frühen Jahre
als Jazzkellerassel Ende der 70er/Anfang der 80er. Für die Neufassung
stand ihm statt seinem Quintett mit Mizutani Hiroaki am Bass und
Yoshigaki Yasuhiro an den Drums ein ganzes internationales Ensemble zur
Verfügung mit Axel Dörner (tp), Alfred Harth (bass-clarinet, tenor
sax), Mats Gustafsson (baritone sax), Cor Fuhler (piano) und Takara
Kumiko (vibraphone), weiteren Saxophons, Posaune, Sho und Electronics.
Der Auftakter ‚Hat And Beard‘ mit seinem markanten Head - die Revision
folgt übrigens der Reihenfolge des Originals - stand schon auf dem
Repertoire des ONJQ und schickt Dörner auf die Spuren von Hubbard und
Alfred Harth zeigt hier schon kurz und ausgiebig dann beim
nachfolgenden ‚Something Sweet, Something Tender‘, was für eine
atemberaubende Bassklarinette von freiweg Dolphy‘eskem Zuschnitt er
bläst. Gustafssons Bariton spotzt seine unverwechselbaren Töne und der
Noise, der aus allen Winkeln dieses elektroakustischen Orchesters
glitzert und stichelt, macht den Zeitsprung deutlich, der an Jazz
keineswegs so spurlos vorüber ging wie einem manche weiß machen
möchten. ‚Gazzelloni‘ ist der Fetzer des Sets, komprimierter Jazzcore
mit Powerdrums, Otomos Last-Exit-Gitarre, heiß laufenden Electronics
und Over-the-Top-Gebläse, ein Heidenspaß mit Dr. Umezu-Schmauchspur!
Beim Titelstück kehrt sich, während die Oberfläche noch zivilisiert
swingt, mehr und mehr das Innerste nach außen, Bass und Vibraphon
walken stoisch der Nase nach, und der Rest der Truppe probt die
kakophone Himmelfahrt mit dem Diabolus in musica als Leader of the
Pack. Was uns zu ‚Straight Up And Down‘ bringt, von Otomo mit ‚Will Be
Back‘ auf gut 27 Min. gestreckt. Aus dem prächtigen Hornarrangement
entfaltet sich eine Demonstration dessen, was ‚Jazz‘ nach dem Tod von
Jazz anstellen kann, wenn er sich nicht postmodern und epigonal
schniegelt, sondern verbündet mit Dröhnelektronik, unkastrierter Musica
Nova und neo- und metafreier Energie, die Stille konsequent mit
einschließt. Das ist dann schon auch ein Härtetest für Gemüter, die
gern Erfahrung mit Spektakel verwechseln. Ob Dolphy selbst mit einer
derartigen ‚Outness‘ klar gekommen wäre oder sich lieber mit einem ‚Out
to Lunch‘ verdrückt hätte? Manche versuchen auf Riesen zu reiten,
andere kriechen ihnen zu Füßen. Otomo dagegen würde Meister Kaios
Wohlgefallen finden.
[ba 50 rbd]
waxwebwind@ebroadway - Trio Viriditas (Clean Feed 003)
Endlich mal eine Wiederbegegnung mit Alfred Harth (saxophone, clarinet), wenn auch weitab meiner Reminiszensen an Cassiber, Goebbels/Harth oder Gestalt Et Jive.
Hier sind seine Partner der Altmeister Wilber Morris am Kontrabass und der vielseitige Kevin Norton an Vibraphon und Percussion, der bekannt dafür ist, sich Herausforderungen abseits der Konvention zu stellen, etwa mit Anthony Braxton, George Cartwright, Nick Didkowsky, Mark Dresser, James Emery oder Philip Johnston. Hier bestand seine Herausforderung darin, zu Harths wie eh und je gefühlsinnigen, sonoren Archie-Sheppismen, mit denen er jeden Raum auf die Größe seines als 23 verschlüsselten 'Egos', was etwa der Dimension des Planeten Kohutek entspricht, aufzublasen versteht, ein agiles Gegengewicht und gleichzeitig einen swingenden Resonanzboden zu stellen. Harth ist ein unübertroffen lyrischer Melancholiker, der bei den langsamen Stücken einen Ton findet, so mürbe wie Ben Webster, aber ganz ohne Vibrato, und so süß wie türkisches Konfekt. Selbst bei den freien, geräuschhafteren Exkursionen bringt er noch eine Klezmerintensität unter, weiß der Teufel (der weiß es freilich genau), warum ihm nicht die Jazzwelt zu Füßen liegt.
[Bad Alchemy, ba 40 rbd]
Hier sind seine Partner der Altmeister Wilber Morris am Kontrabass und der vielseitige Kevin Norton an Vibraphon und Percussion, der bekannt dafür ist, sich Herausforderungen abseits der Konvention zu stellen, etwa mit Anthony Braxton, George Cartwright, Nick Didkowsky, Mark Dresser, James Emery oder Philip Johnston. Hier bestand seine Herausforderung darin, zu Harths wie eh und je gefühlsinnigen, sonoren Archie-Sheppismen, mit denen er jeden Raum auf die Größe seines als 23 verschlüsselten 'Egos', was etwa der Dimension des Planeten Kohutek entspricht, aufzublasen versteht, ein agiles Gegengewicht und gleichzeitig einen swingenden Resonanzboden zu stellen. Harth ist ein unübertroffen lyrischer Melancholiker, der bei den langsamen Stücken einen Ton findet, so mürbe wie Ben Webster, aber ganz ohne Vibrato, und so süß wie türkisches Konfekt. Selbst bei den freien, geräuschhafteren Exkursionen bringt er noch eine Klezmerintensität unter, weiß der Teufel (der weiß es freilich genau), warum ihm nicht die Jazzwelt zu Füßen liegt.
[Bad Alchemy, ba 40 rbd]
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