Foxfur

 ALFRED HARTH greift gern und mit guten Gründen zurück, denn es ist vielleicht doch etwas mehr als nur ein You Must Remember This: Mit „Who Shot the Rabbit?“ verwies er auf Trio Trabant A Roma 1992, mit „Neowise“ auf Gestalt Et Jive 1985, mit „Reklame der Wirklichkeit“ auf dieses Nonett anno 1982, mit „Y Not“ auf The Punkjazz Group 1979. Mit Foxfur (Bandcamp, digital) geht es zurück bis 1973, also zwischen „Just Music“ (ECM, 1969) und „Canadian Cup of Coffee“ (FMP, 1974). Harth hatte Nicole van den Plas, seine Partnerin (neben S.-Å. Johansson) in E. M. T., 1969 bei einem Festival in San Sebastian kennengelernt und mit der belgischen Pianistin erst einige Jahre in einem Kaff bei Ant­werpen gelebt, bevor sie nach Frankfurt zogen, wo sie oft genug hingependelt waren. Was man hier zu hören bekommt, ist hier und da entstanden, mit Harth an ss, ts, bcl, cl, Gong, Nafar, van den Plas an (Inside) Piano (beide zudem mit perc. & voc.), ihrem Bruder Jean an Viola & Harmonica und dessen Frau Liliane Vertessen bei einer Gelegenheit mit tb & tambourine (die beiden kamen ja auch ins Spiel bei E. M. T.). Es hebt mit 'Incantation' so herrlich katzenschräg an, als hätten sie den chinesischen Jackpot geknackt. Mit 'Junge Zugfahrt' kommen Krach und Tempo dazu, Esmeralda tanzt im Intercity mit Tambourin zu Jeans Bluesharp. Nicole stellt Yoko Ono in den Schatten, tobt im Innenklavier, Jean schrappelt die Viola als Banjo, Harth schrillt, was das Zeug hält. Und sopraniert zu Piano­wellen '„…Ihr holden Schwäne, und trunken von Küssen tunkt ihr das Haupt ins heilig­nüchterne Wasser.“ (F. Hölderlin)', dass es einem durch und durch geht. Wer glocken­spielt und paukt da bei 'Palazzo' als Art Brut-Bajazzo? Oben kreuzt ein Flugzeug und Kir­chenglocken läuten. 'Foxy Oscillations' zieht mit dem Violabogen bei lebendigem Leib 's Fell über die Ohren, dazu schwillt, geblasen und vokal, ein Dauerdröhnton, doch Klarinet­tenpoesie will davon nichts wissen. Aber 'Late Night Canto' schwelgt weiter, mit Kratze­bogen und schriller Stimme, in diskanter Kakophonie versus Pianoarpeggio und Weiß­clownsax. A.A.C.M. meets Fluxus? Wie konnten DANACH die Punks damit durchkommen, dass SIE Punk erfunden hätten, die 'Dilletanten' damit, dass SIE genial wären? [BA 119 rbd]

 ZZAJ: Jazz from the 23rd Century

 Die Antwort auf Alles ist... 42. Die Antwort auf „What is Jazz and where is it going?“ ist ZZAJ: Jazz from the 23rd Century (discusmusic.bandcamp.com/album/zzaj-jazz-from-the-23rd-century, 2xCD). Die dazu aufgefordert haben, Jazz so auf den Kopf zu stellen, dass es nach Übermorgen klingt, waren Jerry „Cthulhu Moon“ King (Cloud Over Jupiter) & Dave Newhouse (The Muffins), Spielgefährten in Manna/Mirage, dem AmeriCanterbury/RIO-Projekt von Newhouse, und in Kings Moon X. Unter den Ausgewählten sind jede Menge Namen, die einem die Ohren klingeln lassen. Fast wirkt das, womöglich nicht zufällig, wie ein Update des legendären „Recommended Records Samplers“, 40 Jahre danach, von „A Classic Guide To No Man's Land“ (1988) und Cuneiforms „Unsettled Scores“ (1995): Amy Denio (mit Klarinettenschmus, Scat und Rap – remember the Tone Dogs!)! Elliott Sharp (der Guitar-Popeye von Semantics, Carbon, Terraplane, akustisch verzwirbelt mit Piezo und Processor)! Haco (die After Dinner-Legende, örtlich betäubt, mit in Keysklangschwa­den verwehtem Hauch)! Alfred Harth (als Bassklarinettentwister – this is a cool track, man!!)! Marmhelodic Rascals (Henry Kaiser, John Oswald, Jim O'Rourke, Greg Goodman et. al. mit George Cartwrights irrwitzigem 'The March (or Ornette Went Over To Cecil’s House, But Left After About 10 Minutes)' – mit 9 ½ Min. DER Killertrack!)! Nick Didkovsky (Dr. Nerve's Mastermind, mit Han-Earl Park als die gitarristischen 2/3 von Eris 136199)! David Moss (mit seiner Vox Paradiso zu Kalimba- & Beatboxgroove)! Paul Sears (als weiterem Muffin und Onemanband mit einem Lob der Narretei)! Henry Kaiser (mit einer struppigen Lektion darüber, wie Sonny Sharrock, Derek Bailey, Larry Coryell, Pete Cosey und Frank Zappa selbst gegen den 'funny smell' des Jazz angestunken haben)! Geoff Leigh (Henry Cow's Pan mit Compaxident 1 als fetzigem Meta-Saxtrio anno 1987 im No Man's Land mit Byard Lancaster & John Van Rymenant)! Steve Beresford (die direkte Verbindung zwischen Frank Chickens und A23H, mit hintersinnig geklimpertem Yin-Yang)! Frank Chickens (Kazuko Hohki schmust zu Clive Bells Akkordeon)! und Atsuko Kamura (das andere Chicken mit einem Musette-Chanson in ¾-Takt) noch extra. Nur leicht ver­jüngt, wirkt es wie ein Rendezvous alter RIO-Hasen mit Erben dieses Spirits, cisatlantisch mit Martin Archer (mit dem elektronisch durchstochenen Sax-'Song for John Gilmore') und den belgischen Intige Taluure (mit einem surrealen Lovesong in schleppendem Dreh), mit Argument Club (der von Ulrike Meinhoff und Robert Wyatt inspirierte Paul Morris aus Ed­monton, baileyesk zupfend, wonnig harfend, in memory of John Russell), dem argentini­schen Gitarristen Leandro Kalén (als Plural southern-groovy), doch vor allem US-Mave­ricks: Amanda Chaudhary ('Donershtik'-funky mit Calvin Weston, Jamaaladeen Tacuma, Myles Boisen, Steve Adams), Nubdug Ensemble (Jason Berry mit dem hyperkomplexen, chaudharysierten 'Entr'cte'),Dereck Higgins (mit besaxter Blubberelektronik), Pete Prown & Jeff Gordon (als Gitarren-Grifter mit Phantomtrompete), Shawn Persinger is Prester John (ex-Boud Deun, als plunderphonisches Einmanntrio), Anthony Coleman (mit Monk-und Strayhorn-Spirit in tiefblauer Pianotristesse), Brian Woodbury (mit seinem Variety Orchestra und einem Musical-Lobgesang auf New York)! Lunar Asylum(Mikko Biffle als Leftfield-Gitarrengott im Monsterjam mit alten Freunden), Forrest Fang (mit einem March of the Wooden Soldiers), Anthony Pirog (auf knarzig kakophonem Marsch ins Ungewisse), Greg Segal (der Gitarrist von Paper Bag/Bag:Theory als Piano-Drum-Synth-Hydra), Ron Anderson (der Mezcal testende, Bolano bewundernde Gitarrenwürger als Tremolo pi­ckende Panzerabwehrkanone – über alles Molecules!), Tom Djll (der mit unglaublicher Elektro-Trompete 'The Black Bird Bossa' tanzt) sowie Killick Hinds (mit leichthändigem Appalachian Trance Metal). Dave Newhouse selber, der aus Marysocontraryland auch Artwork beisteuert (ebenso wie Pete 'Guitar Garden' Prown in Pennsylvania), bläst mit melancholischem Baritonsax zu gezupftem Cello und Klapperperkussion von Segal. Jerry Kingspielt 'Avalon (For Dereck)' mit Higgins und pustet Posaune zu Poetry von John Shirley (Cyberpunk-Autor, Lyriker für Blue Öyster Cult und Kings Partner bei „Spaceship Landing in a Cemetery“ und „Escape From Gravety“). Festgenagelt on this insane planet in this insane country, wie Ron Anderson auf www.youtube.com/mylungpuppy brummelt, sind wir doch auch darin vereint, dass das Leben dennoch zu kurz ist und all that jazz nicht zu fassen. Und im 23. Jahrhundert? Gegen welchen Scheiß wird 'unser Jazz' als 'last jazz standing' dann wohl anstinken müssen? [BA 118 rbd]