GESTALT ET JIVE - Neowise (almaslakh.bandcamp.com)

 


In den Nachwehen heroischer Phasen ergeben sich oft die ergiebigsten Möglichkeiten. So bietet die Postmoderne als Humpty-Dumpty-Stadium der Moderne die Freiheit, alles Vor­gefallene aposteriorisch aufzubereiten. Das Post- darf dabei nicht schrecken, Post-Punk (und No Wave) z. B. lieferte(n), synkretistisch, sophisticated, der Dynamo schräg gestellt zum Wind der Dinge, definitiv den besseren Punk - denkt an This Heat, The Fall, Wire, Essential Logic, The Pop Group, PIL, D.A.F., The Raincoats, Ludus, Joy Division, The Homo­sexuals, Family Fodder, The Deep Freeze Mice, Laughing Clowns, The Work, Rip Rig + Panic, die Art Bears, The Ex, Massacre... A23H nennt "Es herrscht Uhu im Land“ (1981) als weichenstellend für die Idee, Creative Jazz, Instant Composing, Art Rock und Post-Punk alchemistisch aufzumischen. Mit Cassiber [1982-85], Duck and Cover [1983/84], und 1984-88 mit GESTALT ET JIVE. In Frankfurt wurden da in abgeklärter Könnerschaft die Töpfe für "Nouvelle Cuisine" (1985) erhitzt. Mit dem buntscheckigen Spleen von Steve Beresford (von Alterations, New Age Steppers, The Slits, African Headcharge, Playgroup, The Melody Four...), dem abenteuerlustigen Gewirbel von Anton Fier (The Lounge Lizards, Material, Pere Ubu, Kip Hanrahan, The Golden Palominos, Rhys Chatham, Herbie Hancock...), dem bassistischen Esprit von Ferdinand Richard (Etron Fou Le Loublan, Ferdinand, Fred Frith...) und Uwe Schmitt (Niebergall Trio, Sogenanntes Linksradikales Blasorchester, doch dabei auch schon Redakteur bei der FAZ, später der Welt). Reduziert zum Trio mit nur noch Richard und Peter Hollinger (zuvor Inneratem, danach Uludag) als neuem Drummer entstand "Gestalt et Jive" (1986). Neowise (almaslakh.bandcamp.com) versammelt unver­öffentlichte Livemitschnitte dieses knackigen Free-Form-Powertrios von 1985 mit allem Holterdipolter von Hollinger, stupendem Bass(gitarren)gekrabbel von Richard, und A23H, der an Reeds wieder sein Feuervogelwesen hervorkehrt, aber auch seine davon un­trenn­bare lyrische Ader zeigt. Die Merkwürdigkeiten ab 'Movement 5' rühren her von Beresford als (noch) viertem Element, der mit Farfisa Organ, Piano, Casio, Melodica und Gitarre den Groove einerseits andickt, andererseits freakish zerlegen hilft, wobei A23H da auch mit Posaune & Trompete seine launigen Seiten hervorkehrt. Gipfelnd mit Beresfords Gesang als Tiger Lilly avant la lettre in kaprioligem Klimbim, das A23H aber wieder in wehmütiges Feeling umschlagen lässt. Doch den Schlusspunkt setzt Beresford mit käseorgliger Exotica nochmal poppig. "Anything goes". So hieß ja dann auch Harths 'Sampladelia-cum-plunder­phonic'-Manifest anno 1986. Times have changed / and we've often rewound the clock, für­wahr. Aber Cole Porter hat The world has gone mad today and good's bad today ja schon 1934 konstatiert. Und dennoch passte Just think of those shocks you've got / And those knocks you've got / And those blues you've got / From that news you've got / And those pains you've got / (If any brains you've got) 1985 noch genauso wie es wohl immer passt. A23H got the Blues, als er letzten August von der Explosion im Hafen von Beirut hörte. Und möchte mit der Musik Aufmerksamkeit und Hilfe dorthin lenken. [BA 109 rbd]

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