Alfred 23 als Labelpartner von Herbst In Peking, R. Stevie Moore, Column One? Wie das? Ach, da ließ der Widerstandsbewahrer Wolf Pehlke (1955-2013), Harths Brieffreund aus Sweet Paris-Tagen, der auch den Cover-Hummer lieferte, noch aus dem Jenseits seine Beziehungen spielen. Harths Partner hier einen Berliner Grafiker und Musiker zu nennen, wäre arges Understatement. Seidel hat auf der ersten Platte von Ton Steine Scherben getrommelt, fand deren Entwicklung dann aber so unspannend, dass er lieber mit Conrad Schnitzler weiter experimentierte, der seinerseits Tangerine Dream nicht mehr so prickelnd fand. Er sendete Klopfzeichen mit Kluster, sah mit Schnitzler schwarz, schlug (als Populäre Mechanik) die Weißen mit dem gelben Keil und kam dabei zum Spitznamen Sequenza. Harth und Seidel sind beide Jahrgang 1949 und gehören damit zu den 68ern, die von selbstgefälligen Moralaposteln nur zu gern als historische Irrläufer anschmiert werden. Schnitzler ist ein zweites Bindeglied, Beuys auf zumindest indirekte Weise ein drittes. In Schnitzlers Zodiak Free Arts Lab sind die beiden sich anno Steinschlag erstmals begegnet, jeder auf seine Weise interessiert an den Segnungen eines Dilettantismus, bei dem das Spielerische und Jedermenschliche das Herzstück bildet. 1983 kreuzten sich ihre Wege erneut. Exzerpte davon landeten auf Harths multimedialem Tagebuch Sweet Paris (1990). Es folgten für beide vehemente Orts-/ Zeitverschiebungen, Harth gen Seoul, Seidel in einem umgekrempelten Berlin. Aus der einstigen Selbstermächtigung wider die disziplinargesellschaftlichen und unterhaltungsindustriellen Zwänge ist ein, wie Seidel es nennt, bloßes Selbstunternehmertum in einem dog-eats-dog Kapitalismus ... in einer immer perfekteren Kontroll[...] maschine geworden. Geblieben seien, und wie gerne stimme ich dem zu, die Richtschnur 'Keine Macht für niemand' und die Praxis einer 'Herrschaftsfreien Musik' unter Gleichgesinnten. Zumindest hallt in 'Co-Traveller' ein bisschen was vom einstigen Fellow-Travellertum nach. Five Eyes und allen anderen nach Spy-Software benannten Titel nehmen Bezug auf den britisch-amerikanischen Geheimdienstverbund und geben Seidel Gelegenheit, seine Aversionen gegen deutsche Doppelstandards zu artikulieren. Während die Secret Services ihre trojanischen Pferde immerhin auch mit Jazz, Pollock, Rothko, LSD und poppigen Geheimbotschaften bestückten, klapperten in den deutschen Diensten steife Amtsschimmel und die Bocksbeine eines Dr. Mabuse. Ob allerdings 'Fives Eyes' als Tag ausreicht, um im Fadenkreuz einer nach nestbeschmutzenden Gedanken spähenden Software als harmloses Blinzeln zu erscheinen? Wobei Harmlosigkeit wohl auch schon unter Generalverdacht steht. Aber stürzen wir uns doch endlich in die in monatelangem Hin und Her montierten Clashes der beiden, ihre elektroakustischen Verwirbelungen, durch die Harths Saxophon und Posaune und die zungenredende Stimme von Nicole van den Plas geistern. Nicht nur durch 'Heartbleed' pulsiert Herzblut. Zu 'Tempora' darf man sich ein 'O mores' zwar denken, man kann es bei aller trauerflorigen Gedämpftheit des Bläsertons aber auch lassen. Die Stücke sind über jeden Nostalgieverdacht erhaben, in die jetztzeitigen Beats ist allenfalls mal eine psychedelisch freakende Vokalisation eingemischt, die an krautige Zeiten anknüpft, aber genau so gut auch jüngerer Weirdness sich verdanken könnte. Wir strudeln hier im heraklitschen Flow einer Sonic Fiction mit hohem Rauschfaktor, in einer surrealen Zentrifuge, Stichwort 'Turbine', die Beats und Klangpartikel schleudert und dabei auch Bill Shute loopt, der einen Zahlentext repetiert. Es gibt da eine faszinierende Insichspannung aus der pulsierenden, flickernden, schrotenden Rasanz und einer mundgemalten Melancholie. 'Anticrisis Girl' wird mitbestimmt von schamanischer Glossolalie, Harth lässt auf einem Orgelfond einen Chor von Nebelhörnern erschallen und schwenkt dazu eine flackernde Fackel. Aber jetzt bloß keine romantischen Vorstellungen, hier herrschen urbanes Tempo und der Overkill multipler Datenströme, die in alarmierendem Getriller und turbulenten Klangfetzen widerhallen. 'Man-On-The- Side' bringt zuletzt zu einem stoischen NEU-Beat Harthschen Singsang und Tenorsaxtristesse mit zartbitter belegter Zunge, der Anflug von Golden-Oldieness wird jedoch gleich wieder verhackstückt. Das glaub ich gern, dass das unsern Männern in Seoul und in Berlin Spaß gemacht hat.
[rbd BA 84]
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