Die sich da für Casual Luddites (#320, CD-R)
zusammengetan haben, sind beides
Wiederholungstäter auf KSE: der Gitarrist & Banjospieler TOM CREAN
hat zuletzt "Wired Love" (#260) gezupft, MIKE BARRETT,
einschlägig unter dem Namen Belltone Suicide, steuerte nach den
"Non-Conformist Sessions" (#314) gerade erst "Wave Table
Erotica" (#327) bei. Er ist ein großer Brodler, Prassler und Sprüher,
während sein Partner pinke Dröhnwölkchen ans Firmament setzt, die er aus
ganz gitarristischen Statements hervorgehen lässt. Im Wechsel dazu klampft
er fröhlich Banjo, was im Zusammenklang mit einem R2-D2 mit
Nervenzusammenbruch ziemlich schräg klingt. Überhaupt wird Kontrast groß
geschrieben, wenn da der eine geschraubt röhrt, während der andre stur auf
psychedelischem Parallelkurs bleibt. Andrerseits ist das Miteinander
explizit Thema, neben Saigon, Hanoi und Cambodia, hindert aber nicht an
getrennten Wegen oder Alleingängen. Barretts Spielzeugt zuckt und quiekt,
knarzt und fiept, pumpt und gluckst, flattert und zwitschert wie unter den
Fingern eines Flippercracks. Crean gibt sich sanft und cool oder, wieder
mit dem Banjo, fernöstlich verzupft. Zu solcher Anarchie Art brut zu
sagen, wäre freilich fartsy. 2015 war ein fleißiges Jahr für Marcus M.
Rubio, der in Austin, TX, als MORE EAZE tolle Musiken macht. Mit
"fine." für Drums & Pedal Steel Guitar
und "(frail)" (mit Samples von Jim O'Rourke und Johannes
Brahms!), jeweils als Kassette auf Full Spectrum Records bzw. Already
Dead. Und mit einer ganzen Trilogie auf KSE, bestehend aus "Stylistic
Deautomatization" (#293) und "Accidental Prizes" (#310),
wobei ich jetzt erst Abandoning Finitude (#326, CD-R) mitbekomme. Aber
damit endlich doch diesen außergewöhnlichen Komponisten, dessen Imagination
ein Lotterbett für seltsame Bettgenossen ist und den KSE nicht umsonst als
"the Van Dyke Parks of the noise- experimental music world" feiert. Man muss sich nur mal auf
Bandcamp "(frail)" anhören: Musique concrète morpht von
knistrig-granular zu ambient zu stürmisch brausend und liest unterweg eine
American Primitive Guitar auf und Talkboxgesang eines Crooners wie Zapps
Roger Troutman. Zu rubbeligem Vinyl gesellen sich elegische Strings und
wieder souliger Schmus, zu Minimaltechnobeats und launigen Streichern
beginnt ein intimer Popsong mit Hanna Campbells wunderbarer Altstimme usw.
usw. Kurz, More Eaze erschafft "a music of infinite
possibility". #326 hebt mit Loops einer besinnlichen Gitarre an, die
sich kaskadierend und flirrend auflöst in einen Wirbel von Klangpartikeln.
Plötzlich: Phantomchöre zu laschem Einhand- ticken. Und: Schnitt zu Ritualtamtam mit Handclapping und
Telstar-Theremin. Über klopfendem Techno- und Tickelbeat wölken sich vage
Vocoderstimmen, und: ein verklumpendes Streichquartett, und: der
Lerchengesang einer Violine, gegen den die Katze die Krallen ausfährt (in
Gestalt kratzender Geigen).Jetzt: eine Gitarre für einen Songwritersong
wie von David Grubbs, gefolgt von huschenden Irritationen im Stereoraum,
die in exzessivem Gitarrenfuror eskalieren. Quakende Noisepartikel wuseln
erratisch umeinander, Synthisound brodelt, doch schon kehrt die faheyeske
Gitarre wieder, gegen die jedoch Streicher anschrummeln, bis aus
ostinatem Stakkato ein albern-simpler Orgelgroove entsteht, von Noisefraß
gesprenkelt. Zu klackenden Sekunden schweifen Synthiklangwolken und
himmlische Chöre. Den Schlusspunkt setzen Streicher und ein leicht
verunklarter, dennoch süßer Song in Jim O'Rourke-Manier, über den sich
aber saurer Regen wie aus Kübeln ergießt. Nicht ohne ein unverdrossenes
allerletztes Gegenmotiv der Gitarre. More Eaze! More Eaze please! Liquid Sunshine (#328, CD-R) bringt vierhändige Percussion von
LISA CAMERON & NATHAN BOWLES, beide mit einschlägigem Werkzeug
inklusive Cymbals, dazu Kontaktmikrophonen seitens Cameron und Gongs und
Bells bei Bowles. Es hebt an mit furiosem Schlaghagel über die Bleche,
einem hochfrequent flackernden, flickernden, sirrenden Klangteppich, der
die Ohren mitklingeln läst. Erst als das Thrashing transparenter wird,
kommen auch holzige Schläge und dunkleres Rolling zur Geltung, bis zuletzt
jeder einzelne Schlag zählt und die Gestik sich auf Schaben und Klacken
fokusiert. Die beiden entfalten da emsig den üppigen Reichtum metalloider
Nuancen, die Rhythmik ist dagegen am besten wohl mit 'wild' zu
beschreiben. 'Rusty' ist ebenso ein zutreffendes Stichwort wie 'liquid'.
Neben dem rappeligen Eifer vermittelt sich der große Spaß an klanglichen
Finessen, die schrottige Möglichkeiten mit einschließen. '40 Days of
Shrouded Demons' und 'Liquid Sunshine Redux' sind Livemitschnitte aus The
Cellar in Blacksburg, VA. Die massive Dröhn- und Schlagkraft der beiden
weist dem unverschämt geschwätzigen Publikum nur eine Nebenrolle zu.
Cameron aka Dave Cameron oder Venison Whirled, genießt als das Unikum, das
sie ist, ja schon einen gewissen Ruf, ihre Aktivitäten in Austins
Undergroud, ob mit ST 37, The Rudy Schwartz Project oder Jandek, sind
legendär. Ihr Partner in diesem manchmal Undercurriage genannten Duo hat
mit der Steve Gunn Band, Pelt, den Black Twig Pickers oder der Spiral
Joy Band gespielt und könnte einem Cymbal selbst mit hinter dem
Rücken gefesselten Armen Töne entlocken. Hier hört man die beiden
unchained. Voilá!
Wichtiger noch als das Zeichen, das KSE 10th
Anniversary Album (#331, CD-R) setzt,
ist das, wofür es steht: Die 330 seit dem 1.3.2006 von Bill
Shute publizierten Gedichtbändchen und Tonträger, die eine
mehrhundertköpfige KSE-Familie entstehen ließen, die wiederum die
Aufmerksamkeit von Tausenden in der ganzen Welt auf sich zog. Shute hat
diese Zwischenbilanz quasi schon auf den Punkt gebracht mit seinem
Chapbook "Good To Do, Good To Have Done" (#329), das in einem
billigen Hotel in Galveston County entstand, mit Madame Blavatskys
"Die Stimme der Stille" im Ohr. Wobei "Inventing One's Own
Land (#317) ebenso gut als Überschrift passen würde.
Zumal "You build your own unique audience if
you are doing unique work" die wohl wichtigste Erfahrung ist, die ihm
diese Dekade einbrachte. Wie also einen Mann nicht beglückwünschen, der
von sich sagen kann: "When I was a teenager in high school back in
the mid-70’s, I was carrying around LP’s by Alfred 23 Harth, Captain
Beefheart, Anthony Braxton, Faust, John Cage, Kim Fowley, The Spontaneous
Music Ensemble, and the like, and I still am today! My core has not
changed, but my scope has enlarged and grown exponentially." Einen
Mann, der Hotelzimmer, statt mit Bibeln, lieber mit Gedichtbänden
von Pablo Neruda ausstatten würde. Einen Mann, der dringend rät: "If
you compete with anyone, compete with the greats in your own pantheon of
greatness, NOT with your contemporaries, and create create create."
Die dazu die Zeichen setzen, sind ERNESTO DIAZ-INFANTE mit seiner Gitarre;
BRENT FARISS, ein offenbar mit If, Bwana geistesverwandter Dröhnminimalist
aus Austin; die von dort nach Ithaca, NY wie vom Regen in die Traufe
umgezogene Perkussionistin SARAH HENNIES; MATT KREFTING aus Easthampton,
der mit Scott Foust in Dead Girl's Party und Idea Fire Company gespielt
hat; der umtriebige Eric Hardiman aka RAMBUTAN in Albany; der
sopraninoschrille MASSIMO MAGEE; die postraffaelitische VANESSA ROSSETTO,
die einen auf elysische Felder entführt; Ex-The Shadow Ring-Gitarrist und
Kye-Labelmacher GRAHAM LAMBKIN mit unheimlichem Geflüster; der ebenfalls
texanische Soundscaper DEREK ROGERS, der sich auf sonore Wellen
einschwingt; und nicht zuletzt ALFRED 23 HARTH, der mit 'Kepler 452-B'
gleich mal einen eventuell habitablen Kandidaten für Terra-Migranten
begrüßt.
Rigo Dittmann in BA 89
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