Wenn die Furie heuer gleich (und gleichzeitig) zwei Gründungsmitglieder von Jefferson Airplane wegraffte, bekommt das Codewort Tunnels (#333, CD-R) für das Gitarrensolo, das ERNESTO DIAZ-INFANTE 2014 Next Door to the Jefferson Airplane Studios San Francisco klampfte, eine vielsagende Schwingung. Der Furie hat freilich auch der hartnäckigste Maulwurf noch nicht entkommen können. Ich bin umso mehr versucht, die monotonen Schläge, mit denen unser Mann aus Salinas unermüdlich wie ein Uhrwerk die Saiten wie ein Akkordeon dröhnen lässt, eine Protestmusik zu nennen. Die der Zeit ihre eigenen Zähne zeigt, die den Sekunden sagt: Wir sind von gleicher Art, geht weiter. Es ist das, nach "Emilio" (2011) für Bajo Sexto, Electronic Tanpura & Singing Bowls und "Sol et Terra" (2015) im Duett mit Lisa Cameron, eine ausnehmend minimalistisch-repetitive Demonstration und Feier der, mit einem dröhnend summenden Bordun, der leicht indisch anmutet. Hatte "Sol et Terra" unter dem Zeichen der Tarot-Königin der Münzen und dem von Jefferson Airplane mit Sternen und den Rhinozerossen von Poonell Corners jongliert, geht es hier mit geschlossenen Augen um den bewegten Stillstand in einer klingenden Sphäre, um einen Schwebezustand, den eine beharrliche und ausdauernde Hand aufrecht erhält.
BRIAN RURYK einen Gitarristen zu nennen, hieße den Spaß fast zu weit treiben. Aufgewachsen in Toronto unter dem Fluglärm des Pearson Airports und angefixt von "No New York", sieht er sich selber allenfalls als Gitarrenidioten, als primitiven Gitarrensimpel. Den Kram, den er seit über 35 Jahren macht, nennt er nicht "Guitar Ape" oder "Piece of Shit Guitar", um nach Komplimenten zu fischen. Wo sonst "Bitte nicht füttern" steht, steht bei Ruryk "Please Don't Encourage Me". Was er spielt ist Schrott. "Broken String, Less Work", so einfach ist das. Actual Size...degress again (#334, CD-R) bringt chadbournesches Freakout, Feedbackkrach und andern Krach. Das Tonband ist wie mit Machete zerstückelt, beschleunigt, verlangsamt oder an die Ziege verfüttert, die an der Müllkippe ihr Dasein fristet. Die Saiten gefetzt, gerupft, zerkratzt, bekrabbelt, geschruppt. Nichts bleibt am Stück, alles ist zerschnitten in winzige Kürzel, gestaucht, geloopt, vielspurig geschichtet, überschüttet mit schrottigem Krawall und perkussiver Randale, oder ein bisschen Piano, Radio, weiß der Teufel. 'Sweet Death' fällt aus dem Rahmen, wegen seiner 8:03 (neben zerkrümpelten 1-2 Min.), aber auch durch einen Auftakt wie mit Chorvokalisation. Der auf der Fletcher-Munson-Kurve skateboardende Irrwitz nimmt überdurchschnittlichen Realismus für sich in Anspruch, taugt aber auch als Verstörung und als Ausstiegsoption für die Unhappy Few. 2009 zählte Ruryk "Torture Time!" (Parachute, 1981) von Polly Bradfield & Eugene Chadbourne und "alles von Xenakis" zu den Schätzen seiner Plattensammlung. The MusicGallery, Toronto's Centre for Creative Music, präsentierte ihn 2015 als "local icon of abstract guitar" neben dem Trompeter Peter Evans, als 'Weird Doods' von vergleichbarer Weirdness. So kann's gehn.
Darum, liebe Brüder, ein jeglicher Mensch sei schnell, zu hören, langsam aber, zu reden, und langsam zum Zorn. (Jak 1:19) Mit diesem guten Spruch lädt REVEREND RAYMOND BRANCH nicht nur die Kranken und Weggeschlossenen, seiner "Rainbow Gospel Hour" zu lauschen. 43 Jahre lang war der Frisör und Pastor der Heavenly Rainbow Baptist Church in South Los Angeles jede Sonntagnacht von 3 - 4 bei KTYM, Inglewood auf Sendung. On the Air! (#335, CD-R) bringt eine typische Stunde mit Aufrufen und Gospels zu Gitarre, Omnichord oder QChord, teils mit seinem Soulbrother Roland Payne. Es erklingen 'I’m Troubled', 'The Lord Will Make a Way Somehow', 'Step by Step', 'Milky White Way', 'I Want to Be Loved' und zuletzt die 'Ten Commandments of Maturity'. Dazwischen beschwört der Reverend den Glauben an den Glauben (Hebr 11) und zum Gottvertrauen (Psalm 27): Der HERR ist mein Licht und mein Heil; vor wem sollt ich mich fürchten? Der HERR ist meines Lebens Kraft; vor wem sollte mir grauen? Nun, im Dunkeln und im Wald ist schon viel und viel umsonst gepfiffen worden. Weiter zu Psalm 23? Nicht doch.
Montiert im LaubhuetteStudio Moonsun von ALFRED 23 HARTH aus 29 Facetten von teils weniger als 30, aber auch von über 240 Sekunden und sogar einer Passage von 6:40 erklingt auf Kepler 452b Edition (#336, CD-R) die 'Kepler Suite' als 'An allegory of life in an alien area'. Dass Mixmaster A23H damit nur seine koreanische zweite Heimat meint, wäre wohl zu kurz gegriffen. Die Soundstürme aus brausend beschleunigten und sausend überdrehten Spuren, aus flattrigen oder verzerrten Sounds, aus gestauchter Kotze aus Glotze oder Radio sowie aus dem Mashup geblasener, gepresster, getrappelter Töne und sogar aus durch diverse Vocoder gejagten Artikulationen bilden zusammen eine Xenophonie, die sich letzlich doch als der Noise und der Groove dieser Welt entschlüsselt. Mit Beschleunigung und Häufung unter fernöstlichen Vorzeichen aufgeschäumt als Overkill für die Sinne, stehen die Wonnen der Überforderung zur Debatte. Mittendrin auch kurz mit über-charlie-parkereskem Altosax, schnell aber wieder delirant zermulmt, verschliert, verhackstückt. Meist als sehr kleinteilige Bruitistik und erratisches Geschwirr, partiell aber auch mit noch erkenntlichen Gesangsfetzen oder Mundstückschmauchspuren. Dazu kommen rhythmisches Gepixel und Geklapper, brüchige Buddhamaschinenloops, Spieluhrklimbim, Loony-Tuning oder quäkige Katzenquälkakophonie. Letzlich aber immer wieder als die Herausforderung, sich diese Zumutung mit keplerschem Wagemut zuzutrauen, wobei allerhand groteske und saukomische Momente das 'Fremdeln' überspielen.
Wenn zwei Gitarristen sich Broken Hands nennen, verrät das einiges. ANTHONY GUERRA ist einer davon. Er ist dazu auch einer der Vodka Sparrows und mit Antony Milton (von The Stumps) nannte er sich Paper Wings. Mit Black Petal betreibt er, dem zwischen Sydney, Tokyo, London oder Kawasaki nur schwer zu folgen ist, der in Antipan trommelt und bei Mysteries Of Love singt, ein eigenes Label. Dort ist 2011 erstmals Subtraction (#350, CD-R) erschienen, ein Guitar & Poetry-Meeting mit BILL SHUTE. Der Kendra Steiner Editor liest 'Marion, Texas', 'Deep Focus', 'Fourty-Four Harmonies', 'Kerrville, Texas', 'Marking Time' und 'Subtraction'. Shute bereist weiter seinen Heimatstaat, mit einem Auge wie Wim Wenders, mit einem Auge auch für den Mond.Nie übersieht er dabei die Habenichtse und streunenden Hunde. Die Gitarre plinkt dazu feindrahtig oder auch fernöstlich, zart und fast wie eine Harfe, wenn auch mal leicht verstimmt. Dass Shute dazu von Arbeits- und Obdachlosigkeit redet, von "idle holders of idle capital" und von Immigranten, verwundert, da man bei seinem träumerischen Vortrag solch kritische Nähe zum US-Alltag nicht vermutet. Aber auch: Gingerbread Men without appointments / sit on mahogany benches / waiting for time to start / or to stop. Shute sieht, denkt und fühlt mit verblüffend reicher Sprache, ohne lyrisch zu beschönigen oder ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Decisions made for us by puffy reptilian administrators trifft, was es zu treffen versucht. Umso gruseliger, dass Millionen seiner Landsleute dennoch ihr Heil von einem wild gewordenen Clown erwarten. An Shutes Gegenpol: No clocks, no cars... no need for locks on doors. Religionen und Parteien sind schon mit weniger und dümmerem Programm groß geworden.
MASSIMO MAGEE ist in London auch schon mal in Rick Jensens Apocalypse Jazz Unit zu hören oder als Power Couple mit der Drummerin MiHee Kim. Music In 3 Spaces (#351, CD-R) bestreitet der Australier, der den Hörer mit den 26 CDs seiner "Collected Solos" gern mal überfordert, aber in seinem bevorzugten Format, solo, dafür dreidimensional. So bittet er um Aufmerksamkeit mit 'Concert' an Eb Clarinet, 'Living' an elektroakustischem Altosax, und 'Cyber' mit audiovisuell und digital ausgelesenem Sopraninosax. Magee macht nämlich auch Digital & Glitch Art, und er publizierte den antiutopischen Texttriptychon "Counter Culture - A Novel - In Three Parts". Eine Obsession für improvisatorische und klangliche Psychodramatik und die Wertschätzung für "On the Road", "Blood Meridian", "Infinite Jest" und "2666" zeichnen eine düstere Zukunft. Seine Konzerte sind dagegen Hirn-OPs ohne Betäubung, mit kakophonen Schnitten, zirkularen Wellen, Luftstößen und Klagelauten, je elektroakustischer und digitaler, desto stechender, perkussiver, schleifender, schleierhafter.
rbd in BA 91