Was ist das, @ blankies end (M 28)? Nun, definitiv keine Pfeife. Aber ansonsten hat ALFRED 23 HARTH so Einiges eingemischt in diese Collage, in der eine seltsame Uhr die ‚Nuller‘ Jahre zuende tickt: ‚Ten Tin‘... ‚Elf‘... ‚Gesternmorgen‘ (zuerst las ich Geistermorgen)... ‚Popul Vuh‘... ‚Twentyhundredtwelve‘... Da kommt die Trompete von Choi Sun Bae ins Spiel, alles andere, die schöne Klarinette, die aufgewühlten Samples sind Herz- und Hirnton Harth. Seine Antennen fischen in musikalischen und medialen Wassern, im halb- und sehr bewussten Trüben, Drüben. Berauscht, überrauscht, traumartig quellend, erklingt ein elektrifiziertes Memento, ein mehrstimmiger Chor melancholischer Bassklarinetten. Aber an den Fersen hecheln Hunde, an den Nerven zerren schrille, kakophone Kräfte. Der Puls ist der von ‚Organischen Konstruktionen‘, wie Ernst Jünger den 21st Century Schizoid Man schon im frühen 20. getauft hat. Windspielgeflirr und Vokalisation driften dahin wie eine sich in Raum und Zeit entfernende Hälfte. Die andere treibt Wurzeln in der Stadt, tastet mit Tentakelsensoren über Screens. Als Folklore Imaginaire? Wenn das ein Name für eine schöne Chimäre ist, warum nicht. Die Trompete mischt sich, wiederum vervielfacht, unter Tonspuren, die die lineare Zeit krümmen, manchmal sogar umkehren. Ist hinten da, wo die Laterne hängt? Hängt der Himmel voller Klarinetten und mittendrin ein Baritonsaxophon? Ist das Illbient made in Seoul? Im Kopf Sonic Fiction, doch in der Brust kreist ein altes Raunen, Gesang aus dem Buch Dzyan, wie ihn Madame Blavatsky in Würzburg im Ohr hatte? Zuletzt, wenn auch kurz, ist es Sombient, denn ‚Der Schlaf ist eine süße Melodie‘, die einen giftig und koreanisch ersticht.
Mit @ eighties end (M 31) geht ALFRED 23 HARTH zurück ins Jahr 1989. Auszüge seiner Theatermusik zu Antigone von Sophokles/Hölderlin für eine Aufführung am Schauspielhaus Düsseldorf sind gemischt mit Lachen, Weinen, Lieben, einer TV-Musik fürs ZDF. Stilistisch kompatibel, ergibt sich ein Ganzes, das in seinem Pathos und Thrill, dem Kladderadatsch von Orchester-Samples, Noise, Dark Ambient und Instumentalmusik, vieles in den Schatten stellt, was genuine Vertreter der Sound Culture, ob im Industrial oder der Elektroakustik, anstrebten. In Soundwolken, dunkel und largo, stoßen eine Bassklarinette, eine Orgel, schneiden Klarinettenmelodien. ‚Antigone.Nacht‘ ist ein finsteres Prachtstück, zuerst ein Säbeltanz auf dem Vulkan, dann nur ein Gedröhn, schließlich die anhaltende Erruption. ‚LWL III‘ lässt Flöten und grollende Kontrabassklarinetten in Zeitlupe sich umtanzen wie Fische einen großen Wal. Groß wie Behemoth ist auch der Gesang, den Harth auf seinen Klarinetten anstimmt. Bei ‚Antigone.Ölfässer‘ rumoren perkussives Gedonner, Gepolter, Shakergerassel und verzerrte Stimmen, die vom Menschlichen ins Tierische und Schaurige changieren, umeinander. Für ‚LWL IV‘ wirken Zweifingerkeyboards, Aaa- & Ooo-Vokalisation und wieder die schneidende, zartbittere Klarinette zusammen, die klingt, als müsste sie eine offene Wunde vereisen. Auf ‚11+12‘, einem kurzen Clash aus Noise und holzigen Schlägen, folgt zuletzt ‚LWL V‘, langsam und düster. Über dürftige Drummachinebeats stoßen Orgelfanfaren und wuchtig rummsende und rumorende Einschläge ineinander und brechen den Stab über ein zwischen Tragödie (Tschernobyl, Tian’anmen) und Farce (Reaganomics, Thatcherismus, Mauerfall) taumelndes Jahrzehnt.
Rigobert Dittmann, BAD ALCHEMY 66