SVEN-ÅKE JOHANSSON



Kann man jemanden einen alten Schweden nennen, der nächstes Jahr erst 70 wird und der sich, vor Kurzem erst wieder mit Der Kreis des Gegenstandes im jungen Verbund mit Dörner & Dafeldecker, jedesmal als Hutmacher zeigt, dessen Modelle zeitlos gut zu Gesicht stehen? Johanssens Vergangenheit kam in BA auch schon zur Sprache, anlässlich von etwa Die Harke und der Spaten (BA 73) und mehr noch von 1974-2004 (BA 72), der Retrospektive seiner Partnerschaft mit dem Pianisten Per Henrik Wallin (beides auf Um- laut). Early Works (SÅJ, 4 x CD in Kartonbox) geht jetzt wirklich auf Anfang, wenn man von den bahnbrechenden For Adolphe Sax und Machine Gun absieht, wo der erst 21-jährige SÅJ allerdings noch im Schatten von Peter Brötzmann stand.
Field Recordings 1969/70 (SÅJ-CD 25), um die Box chronologisch aufzufächern, fängt eine nächtliche Straßenbahnfahrt in Göteborg ein, eine Führung durch das VW-Werk in Wolfsburg und einen Gang die Treppe hinab und aus dem Haus in Mariental (bei Helmstedt), um, von sämtlichen Hunden angebellt, Milch zu holen (aufgenommen, um sich das in 50 Jahren mal anzuhören und sich zu erinnern). Daneben gibt es eine 'Music in the Air', freakisch-hippieskes Gedaddel unter freiem Himmel in Sonnenberg (Harz), mit pastoralem Geflöte, tagträumerischen Basstrichen und jungsteinzeitlicher Percussion. Neben ringsum offenen Ohren wird da ein, im Dunstkreis von Beuys und Nam June Paik geschärftes Be- wusstsein dafür deutlich, dass die Welt Klang ist und Empfänglichkeit ebenso relevant wie Kreativität, mit der Konsequenz, Musik zu entdefinieren.
Die Mariental Tapes (SÅJ-CD 23) entstanden 1970 im Kloster Mariental. SÅJ hatte da Anschluss an die Kreuzberger Zodiak-Szene gefunden. Der sechs Jahre ältere, Beuys-angefixte Conrad Schnitzler, einer der Club-Begründer, der mit Electronic Meditation gerade den Grundstein eines eigenen Kults legte, spielte Synthesizer, Norbert Eisbrenner, Mitinitiator der musikalischen Zodiak-Killer Human Being, traktierte eine E-Gitarre im Table-guitar-Stil und entlockte ihr kaskadierende Wellen. SÅJ förderte die Anarchie mit Donnerblechen und hagelte zärtlich aufs Blech. Eisbrenner gehörte da auch schon zu MND, sprich Moderne Nordeuropäische Dorfmusik, mit dem Bassisten Werner Götz und später dem Cellisten Peter Dyck als drittem Mann. Ein Jahr, bevor Faust in Wümme ihr 'Medow Meal' zubereiteten, wurde in Mariental ein Kurzschluss mit Outer Space geprobt, der sich über die in der Nähe rauschende Autobahn schnell in die Metropolen befördern ließ. 'Dorf' meint einfach nur 'Das Weltall ist ein...'.
Wie modern SÅJ & Co. dachten und assoziierten, das verraten die sechs Namen, die für MND at Moderna Museet Stockholm 1972 (SÅJ-CD 19) als Hutständer dienten. Bei 'Calder' trommelt SÅJ im kinetisch kaskadierenden Duktus von Eisbrenner, der hier helldunkle Zacken darüber rifft, während Dycks Cello die Säge mal tief, mal hoch ansetzt. Ich fresse einen Hut, wenn da Blindfoldgetestete auch nur annähernd auf 1972 kommen. Pizzicato pflückt Eisbrenner hohe und höchste Töne, die Dyck noch poliert, SÅJ rumpelt, als müsste er mit allem was er hat die Löcher eines rundum porösen Universums stopfen. 'Rosenquist' wirkt danach ganz transparent wie nur aus Strings (und ein bisschen Piano) gewirkt, 'St. Phalle' zugleich schmerzerfüllt und rebellisch. 'Tinguely' wird nur auf einem Blechdeckel geklopft und von einer Oboe gequäkt, während eine Slideguitar wimmert. 'Fahlström' ist ein SÅJ-Solo, 'Rauschenberg' ein durchscheinendes Pianissimo, das sich erst spät in Wallung sägt und klopft. Kinetik, New Realism und Pop Art, die Blinde sehend machen.
Mein Highlight ist jedoch E. M. T. in der 'Fabrik' Hamburg (SÅJ-CD 24), SÅJ 1973 im Trio mit Alfred Harth & Nicole van den Plas (BA 62). Die unkonventionelle Pianistin bietet seinem agilen Füllhorndrumming effektvoll Paroli und Harth bläst dazu Töne, als wäre er damals schon Koreaner gewesen. Er erfüllt das ankurbelnde Riffing seiner Partner mit einem Feeling, das selbst in dieser suboptimalen Aufnahme noch Gänsehaut macht. E. stand in Hamburg definitiv für Energie und Ekstase. Van den Plas wühlt in tiefen und tiriliert auf freiweg verstimmten Registern, Harth röhrt und singt so schmerzhaft wie glorreich, den Mund voller Rosen und Feuer. Sogar eine Seite aus Dollar Brands Sketchbook wird verbrannt, in eine Lure gepustet und eine Triangel gerührt. Comic relieve, souverän an den Hut gesteckt. Early Years, erstaunliche Jahre eines erstaunlichen Mannes.

In Bad Alchemy 75 by Rigobert Dittmann